Die Zeit der Pionierinnen
Aufgebrochen sind vor über sechzig Jahren handfeste schwäbische Pionierinnen, die mit Herz und Verstand, vor allem aber mit ihren Händen und Füßen ein stetig wachsendes Werk aufgebaut haben. Über das Erbe der Kolonialgeschichte haben sie sich damals wenig Gedanken gemacht. Vielmehr waren sie überzeugt vom missionarischen Auftrag und sie sahen sich als Vinzentinerinnen zu den Ärmsten der Armen gesandt.
Von der Pionier- zur Stabilisierungsphase
Tansanische Frauen in die Gemeinschaft aufzunehmen, war eigentlich nie geplant. Aber dann kamen die ersten jungen Frauen und baten um Aufnahme – und wurden wieder weggeschickt. Manche waren jedoch ziemlich dickköpfig und kamen immer wieder. Sr. Vincent Karama wurde zur ersten tansanischen Schwester und wird von ihren Mitschwestern bis ins hohe Alter als “Mzee” oder “Bibi” (als weise Alte) verehrt.
Doch nicht nur die jungen Frauen ließen mit ihrem Wunsch nicht locker, auch der damalige Bischof machte einfach Nägel mit Köpfen und stellte einen Artikel in die Zeitung. Der Bischof lud junge Frauen ein, in Mbinga um Aufnahme in die Ordensgemeinschaft zu bitten. Allerdings war das Mutterhaus in Untermarchtal auf diese Frage gar nicht vorbereitet – so war das nicht geplant. Die Barmherzigen Schwestern in Untermarchtal waren zum damaligen Zeitpunkt eine klassische diözesane Ordensgemeinschaft. Die Schwestern kamen aus der Region, Erfahrungen mit anderen Kulturen gab es eigentlich nicht. Auch vor Ort in Tansania gab es noch kaum Erfahrungen, ob und wie das Zusammenleben zwischen Missionarinnen und einheimische Schwestern gelingen könnte. Viele Fragen waren zu klären.
Auf alle Fälle wartete die damalige Regionaloberin Sr. Reinburga sehnsüchtig auf eine Entscheidung aus Untermarchtal, schließlich musste sie mit den jungen Frauen, die immer wieder bei ihr anklopften, umgehen.
Sr. Adeltrudis, zu diesem Zeitpunkt Generaloberin in Untermarchtal, berichtet in diesem Zusammenhang immer von einer Episode in Paris. Wochenlang – und wohl auch nächtelang – hatte sie sich mit dieser Frage geplagt, die Entscheidung abgewogen, versucht die Fragen der Zukunft zu klären und sich immer wieder gefragt, welche Pläne wohl Gott mit der Gemeinschaft hat. Dann standen sie während einer Wallfahrt zu unseren Ordensgründern nach Paris in der Kapelle, in der die sterblichen Überreste des hl. Vinzenz aufgebahrt sind und trafen dort vor dem Sarg kniend ins Gebet versunken eine wunderschöne, in traditioneller Kleidung gekleidete Frau afrikanischer Herkunft. Diese kurze und “zufällige” Begegnung an dem für die Gemeinschaft so besonderen Ort hat sie ermutigt, die Entscheidung zu treffen und die Aufnahme der tansanischen Frauen zu bejahen.
Das rasche Wachsen der tansanischen Gemeinschaft und der Aufbau der Stationen mit ihren sozialen Einrichtungen war mit einem großen Aufwand und nur mit hohem Engagement – auch aus Deutschland verbunden. Der Austausch war rege, auch wenn es noch keine elektronischen Medien gab. Unzählige Container wurden in Untermarchtal und an vielen anderen Orten gepackt und nach Tansania versandt.
Immer wieder wurden auch sogenannte deutsche „Entwicklungshelfer“ für einige Zeit nach Tansania entsandt: Schreinerinnen, Architekten, Landwirte, Maurer, Elektriker, Krankenschwestern u.v.m. Heute sind wir immer wieder sehr überrascht, wie viel finanzielle Unterstützungen in dieser Zeit auch über staatliche Institutionen in unsere Projekte geflossen ist. Dafür sind wir sehr dankbar.
In dieser Phase entstand die Missionsprokura als Koordinations- und Vernetzungsstelle zwischen Mbinga und Untermarchtal. Die Stiftung Licht und Hoffnung und das Generalat übernehmen seit einigen Jahren die Aufgaben der ehemaligen Missionsprokura.
Von der Entwicklungshilfe zur Hilfe zur Selbsthilfe
Der Wandel zu einer größeren Selbständigkeit der tansanischen Schwestern und zu einem partnerschaftlichen Verständnis der Zusammenarbeit schritt stetig voran. Nicht immer ging es reibungs- und problemlos. In Partnerschaften werden Fehler gemacht, gibt es Missverständnisse und dann auch Misstrauen. Die problemgeladene gemeinsame Geschichte prägt auch den Veränderungsprozess, in dem die Gemeinschaft und das Land Tansania sich befindet. Äthiopien mit seinen gesellschaftlichen Unruhen und einer ganz anderen kulturellen Entwicklung bringt ganz neue Fragen mit sich. Die kulturellen Unterschiede sind eine Herausforderung, aber auch ein Geschenk für alle Beteiligten.
Von der Zukunft der „Mission“
Dieser Prozess steht erst am Anfang. Vieles muss gelernt, manches verlernt werden. Die tansanische Schwesterngemeinschaft wird Schritt für Schritt unabhängiger werden. Die sozialen Einrichtungen – und damit die Menschen vor Ort werden noch länger unsere Unterstützung brauchen. Unsere Herausforderung wird sein, die Bereitschaft und den Willen zu entwickeln, mit und von unseren Partnern zu lernen. Die kleine äthiopische Gemeinschaft ist ganz am Anfang ihrer Aufbauphase, Erfahrungen von Land zu Land sind nicht 1 zu 1 zu übertragen, neue, andere Wege müssen gesucht werden.